"Potentieller Missbrauch? AMK: Apotheken haben bei Cannabis eine besondere Verantwortung“
Der kürzlich erschienene Artikel der Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) in der DAZ Online vom 14.01.2020 hat für Aufruhr gesorgt. Melanie Dolfen, Apothekerin und Inhaberin der BEZIRKSapotheken in Berlin, hat dazu ein Statement abgegeben:
„Wenn wir diese Meldung lesen, dann trifft ein missbräuchlicher Umgang auf 90% unserer Patienten, die cannabinoidhaltige Arzneimittel verordnet bekommen, zu. Dies stellt unsere Patienten unter Generalverdacht. Dadurch werden Vorurteile und die Stigmatisierung weiter geschürt. Cannabis abgebende Apotheker und Patienten, die cannabinoidhaltige Arzneimittel anwenden, sind sich der besonderen Verantwortung mit dem Umgang dieser Arzneimittel bewusst. Mit den von der AMK genannten Kriterien ist es aus meiner/unserer Sicht nicht möglich einen Missbrauch zu erkennen oder auszuschließen. Grundsätzlich muss betont werden, dass alle von der AMK genannten Punkte auf Medikamentenmissbrauch hindeuten KÖNNTEN. Doch für uns handelt es sich um nachvollziehbares Patientenverhalten!“
Folgend geht sie auf die, von der Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker genannten, Punkte näher ein:
1. Feststellung geänderter/manipulierter oder (insgesamt) gefälschter Verordnungen:
„Eine Änderung, deren Ursprung unklar ist, kann durch Rücksprache mit dem ausstellenden Arzt geklärt werden. Alles was vom Arzt nicht bestätigt werden kann, wäre ein Hinweis auf Missbrauch und wird dementsprechend behandelt. Mit den ausstellenden Ärzten zu kommunizieren gehört zu unseren täglichen Aufgaben. Interessanterweise stellte sich nach einer Umfrage unter VCA Mitgliedsapotheken heraus, dass bei schätzungsweise mehr als 100.000 abgegebenen Zubereitungen KEINE Mitgliedsapotheke jemals ein gefälschtes Cannabis Rezept erhalten hat.“
2. Versuche von Patienten, die Zubereitung der Rezeptur zu beeinflussen (zum Beispiel, dass die Droge unverarbeitet abgegeben werden soll):
„Das kann ganz normales Patientenverhalten sein, denn eine verarbeitete Abgabe führt zu einem vorzeitigen Abbau der Wirkstoffe, weshalb sich viele Patienten grundsätzlich ganze Blüten aufschreiben lassen. Sollte dies bei der Rezeptausstellung versäumt worden sein zu vermerken, könnte es durchaus passieren, dass ein Patient in der Apotheke nachfragt, ob die Cannabis-Blüten auch unverarbeitet abgegeben werden können.“
3. Die nicht medizinische Nutzung des Fertig- beziehungsweise Rezepturarzneimittels – zum Beispiel eine zweifelhafte Gebrauchsanweisung oder eine der verordneten, aber nicht den pharmazeutischen Regeln entsprechende Darreichungsform (mangelnde Dosiergenauigkeit bei nicht zerkleinerter Droge)
„Der Arzt legt im Rahmen seiner ärztlichen Therapiehoheit die Darreichungsform und die Menge fest! Wir haben bisher noch nicht die gewohnte Auswahl an Medikamenten und Darreichungsformen, um die Patienten adäquat nach pharmazeutischen Regeln versorgen zu können. Wir reden hier über schwerstkranke, oftmals austherapierte Menschen, die ihr Leben nur mit diversen Einschränkungen führen können. Da müssen sich Arzt und Apotheker auch manchmal eine “nicht alltägliche Lösung“ einfallen lassen, um die Einnahme für den Patienten zu erleichtern bzw. eine Einnahme überhaupt zu ermöglichen. Für die „mangelnde Dosiergenauigkeit bei nicht zerkleinerter Droge“ ist im „Kapselfüllset“ des medizinischen Verdampfers sogar eine Feinwaage inbegriffen.“
4. Verordnung von mehreren (wohnortfernen) Ärzten, zum Beispiel im Rahmen der BtM-Dokumentation
„Das größte Problem, das Patienten immer wieder ansprechen, ist die Tatsache, dass nur wenige Ärzte bereit sind, cannabinoidhaltige Medikamente zu verordnen. Es ist leider ein Normalzustand, dass Patienten zu wohnortfernen Ärzten fahren müssen, weil sich am Wohnort weder ein verschreibender Arzt noch eine cannabisversorgende Apotheke findet.“
5. Die Beschaffung aus mehreren (wohnortfernen) Apotheken
„Auch das ist in der Cannabisversorgung Normalzustand. Die Lagerhaltung ist aufwändig und es gibt nur wenige Apotheken in Deutschland, die überhaupt cannabinoidhaltige Medikamente am Lager haben. Wenn ein Patient mehrere Sorten benötigt, ist er gezwungen, bei mehreren Apotheken vorstellig zu werden. Sogar das BMG rät den betroffenen Patienten zu „Apothekenhopping“ (Quelle: https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2018/06/15/ministerium-bei-cannabis-engpaessen-die-apotheke-oder-das-arzneimittel-wechseln).“
6. Manipulation und/oder Reklamation von bereits abgegebenen cannabinoidhaltigen Arzneimitteln, zum Beispiel Beschwerden wegen angeblicher Minderbefüllung oder Wirkungslosigkeit, inklusive mangelnder Qualität.
„Hier sollte doch jeder Patient das Recht haben, Feedback zu seinen Medikamenten abgeben zu dürfen.“
7. Striktes Beharren auf eine THC-reiche oder bestimmte Cannabis-Sorte“ (im Sinne der Handelsbezeichnung) beim Arzt oder in der Apotheke.
„Jede Sorte hat eine unterschiedliche Zusammensetzung des Terpenprofils. Das Terpenprofil kann ausschlaggebend für eine Wirkung oder Nichtwirkung im individuellen Einzelfall sein. Wir reden hier über austherapierte Patienten. Bei vielen Patienten ist die Cannabis Medikation die letzte Option. Der Patient hat an dieser Stelle nicht die Freiheit der Wahl, zwischen salopp gesagt „Gouda oder Camembert“, sondern oft nur die Wahl zwischen Leidensminderung oder Weiterleiden. Eine Dosiserhöhung ist ein normaler Prozess bei einer Cannabistherapie.“
„Zusammenfassend lässt sich sagen, dass wir uns an dieser Stelle einen Abbau der Vorurteile und eine bessere Versorgungssituation für die Patienten wünschen. Ebenfalls wäre es wünschenswert, wenn zukünftig vor Veröffentlichung solcher Artikel ein Austausch mit dem Verband der Cannabis versorgenden Apotheken stattfinden würde.“
Melanie Dolfen